H.G. Kippenberg u.a. (Hrsg.): Europäische Religionsgeschichte

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Titel
Europäische Religionsgeschichte. Ein mehrfacher Pluralismus


Herausgeber
Kippenberg, Hans G.; Jörg, Rüpke; Kocku, von Stuckrad
Erschienen
Göttingen 2009: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
854 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Thomas Schulte-Umberg, Katholisch-Theologische Fakultät, Institut für Historische Theologie - Kirchengeschichte, Universität Wien

Es gibt keine grossen Erzählungen mehr – dieses Lied ist in der historischen Forschung zur Zeit verklungen. Die hier anzuzeigende «Europäische Religionsgeschichte», hervorgegangen aus Tagungen des in Erfurt angesiedelten Max-Weber-Kollegs und als Lehr- und Studienbuch für entsprechende Studiengänge konzipiert, ist ein Beweis für das Mühen um grosse, übergreifende Zusammenhänge, die auch Elemente des Ganzen wiederum in neuem Licht erscheinen lassen können. Durch die Lektüre der insgesamt 28 Beiträge, aufgeteilt auf zwei Teilbände und versammelt unter den Grossabschnitten «Das Problem einer Europäischen Religionsgeschichte», «Entwicklungspfade des Pluralismus», «Religion und Gesellschaft: Transfers zwischen kulturellen Systemen» und «Religiöse Kommunikation: Repräsentations- und Vermittlungsformen» erhält der Leser einen beeindruckenden Überblick, der ebenso zahlreiche Anregungen gibt wie entschieden zum Weiterdenken und Nachfragen herausfordert.

Die hier eingenommene Perspektive auf die europäische Religionsgeschichte ist eine dezidiert religionswissenschaftliche. Sie sowie das Konzept einer Religionsgeschichte bieten mindestens eine Teilantwort auf die Frage, warum das Unterfangen einer europäischen Religionsgeschichte im Vergleich zur historischen Europaforschung insgesamt «spät» (3) kommt. Denn obwohl Religion als historisches Phänomen von Historikern mittlerweile von den Anfängen bis heute – freilich immer noch mit abnehmender Tendenz für das 20. Jahrhundert und die Zeitgeschichte – ernst genommen wird, sind religionswissenschaftliche Fragestellungen Historikern trotz sporadischer Neigung zum Max-Weber-Zitat eher fremd. Die im vorliegenden Band von Historikern verfassten Beiträge sind die Ausnahme von der Regel. Eine mehr oder minder religionswissenschaftliche Perspektive einzunehmen ist dagegen zumindest manchen durch Neigung oder Profession konfessionell gebundenen Historikern möglich, wohingegen das Konzept Religionsgeschichte eher mit Zurückhaltung behandelt wird, da das Christentum zum historischen Phänomen unter anderen, jedenfalls seiner Besonderheit entkleidet wird. Fremdheit und Zurückhaltung mögen Grund für die Verspätung sein.

Eine europäische Religionsgeschichte ist ein Konstrukt. Sie ist es schon allein deshalb, weil Europa selbst nicht als eine territoriale Einheit mit fixen Grenzen betrachtet werden kann. Dennoch wird, wer aus welcher Perspektive auch immer Europa zum Gegenstand historischer Forschung macht, ohne einen geographischen Europabegriff nicht auskommen. In seiner «Europäischen Geschichte» hat der britische Historiker Norman Davies als überzeugenden Ausweg aus diesem Dilemma vorgeschlagen, von einem ‹tidal Europe› auszugehen, d.h. Europa als flexible Einheit zu betrachten, deren Umfang im Zeitverlauf zu- und abnimmt und deren Kontakte und Austauschprozesse ebenso veränderlich sind. Von der Sache her folgt die «Europäische Religionsgeschichte» diesem Ansatz. Sie setzt zeitlich in der Antike an und bezieht sich zunächst auf den «Binnenraum des Imperium Romanum» (12), da dieser die materiellen und symbolischen Voraussetzungen für eine bestimmte Form von Religion geschaffen habe. In den Beiträgen wird der geographische Bezugsraum je nach Notwendigkeit variiert, es werden etwa religiöse Entwicklungen in den USA wie in Indien thematisiert. Gleichermassen und ebenso völlig zu Recht haben pagane Kulte, Judentum und Islam in einer «Europäischen Religionsgeschichte» ihren Platz. Dennoch steht insgesamt das Christentum im Mittelpunkt, denn eine «Präponderanz christlicher Kirchen und Praktiken im geographischen Raum Europa [ist] … nicht in Frage [zu] stellen.» (10)

Die «Europäische Religionsgeschichte» strebt keine umfassende oder gar um Vollständigkeit bemühte Darstellung an. Sie stellt vielmehr den Versuch dar, die Kennzeichen der Entwicklungen integrativ zu erfassen. Einem pluralistischen Interpretationsmodell verpflichtet, wird dem Leser zwar eine Vielfalt an Ansätzen und Perspektiven geboten. Dies geschieht jedoch auch dort, wo es sich eher um Fallstudien handelt, in systematischer und an grösseren Zusammenhängen orientierter Absicht. Wie für die historische Europaforschung insgesamt gilt dabei auch hier: Die Herausforderung europäische Geschichte in all ihren Dimensionen und möglichen Bedeutungen zu schreiben kann in einer Vielzahl von Möglichkeiten bestehen. Es kann jedoch das Verdienst des hier anzuzeigenden Bandes sein, deutliche Hinweise dafür zu geben, in welche Richtungen sich die Beschäftigung mit religiösen Entwicklungen in Europa im Rahmen historischer Forschungen entwickelt hat und vor allem in welche Richtungen sie sich zukünftig entwickeln könnte und sollte.

Zitierweise:
Thomas Schulte-Umberg: Rezension zu: Hans. G. Kippenberg/Jörg Rüpke/Kocku von Stuckrad (Hg.), Europäische Religionsgeschichte. Ein mehrfacher Pluralismus, Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 2009. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 104, 2010, S. 491-492

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